AUSGABE VON ZEIT UND GELD, 2018
It´s about time
Seite 6 und 7
Wem nützt das Geld, wenn man´s behält
“Zeit ist Geld.” Das habe ich nie gesagt und frage mich heute, warum eigentlich nicht? Vielleicht weil ich in den 70ern geboren bin und meine Eltern erst ganz OK waren, bis sie beide als Pharmareferenten mehr mit dem Geld beschäftigt waren. Mein Vater war erst Goldschmied, meine Mutter Kinderkrankenschwester, beide blutjung und bestimmt auch irgendwann mal total verknallt. Als ich vier war, kam die kleine Schwester und sie war ein Jahr später tot krank. Das war natürlich ein Dreh- und Angelpunkt, es kreiste alles um den Krebs von Eva. Gesund war die Beziehung meiner Eltern auch nicht wirklich, doch es gab Chancen, die, so wie ich in meinem jungen Selbstverständnis dachte, wenn sie sich doch überhaupt mal um mich statt um das Einkommen, die Ausgaben, die Krankheit und um sich selbst kreisen würden.
Es gab wirklich mehr als genug, wir hatten zwei Autos, einen Riesen Bauernhaus, Hund, Katze, Pferd, jede Menge Kleidung, Partys und viel unnützes Zeugs, doch gestritten wurde immer mehr, bis es 1984/5 richtig knallte und mein Vater uns drei bis ins Frauenhaus verfolgte. Er war immer schon alkoholisiert, ich kannte ihn kaum nüchtern. Geschlagen, verprügelt gar hat er meine Mutter und mich auch, wenn sie nicht nicht grade in der Nähe war. Ich habe mich für meine Eltern oft nur geschämt, mehr für meinen Vater erst, der an meinem zehnten Geburtstag betrunken mit seiner Kette rauchenden Mutter im Wohnzimmer saß und meinen Geburtstag ignorierte. Die Klassenkameraden waren im Anmarsch und ich hatte nichts zu Essen. Ich rief meinen Großvater an, den Fritz Bär, 1908 in Dresden geboren, den Vater meiner Mutter.
Er setzte sich in seinen beigen Käfer, kaufte jede Menge Puddingteilchen und kam in letzter Minute. Ich hatte den Kakao gemacht, und keinem fiel auf, daß beide Eltern einfach mal abwesend waren. Von meiner Mutter bekam ich eine Postkarte, sie war auf Kur mit der Schwester. Zwei Jahre später gab es also die Scheidung meiner Eltern und es begann ein Streit ums Sorgerecht, ums Geld und um wer von beiden Elternteilen nun besser oder schlechter sei, es herrschte Krieg.
Vor allem bekam ich von meiner Mutter zu spüren, daß sie schließlich alles bezahlte und ich zu spuren hätte. Sie begann endlich aufzublühen, wie ihre Freundinnen sagten. Sie kaufte sich noch mehr Kleider, Parfum, schicke Möbel und Dekorationen, was zuvor oft der Streitpunkt meiner Eltern war. Meine Mutter lebte sich materialistisch total aus, was ich befremdlich fand. Sie fand auch Genugtuung darin, dass sie die Schlauere war, sie es nun geschafft hätte, sich von dem „Arschloch“ zu befreien und sprach viel über den Unterhalt und das Geld.
Ich fragte mich oft, was ich eigentlich mit dieser ganzen Situation zu tun hatte. Nichts, rein gar nichts, sie kannte mich im Grunde nicht, doch man trennt sich von einem texturiertem Arschloch nun mal und zieht die Kinder alleine groß, das schafft natürlich auch Anerkennung bei den Freundinnenenn…. . Emanzipatorisch natürlich 1 A! Die Familienrichterin fragte mich 1989, ob ich bei meinem Vater oder meiner Mutter leben wolle, während die mit meiner kleinen Schwester draußen saß. Ich kann mich an diesen Moment sehr gut erinnern und weiß auch, daß ich vor einer massiven Wahl gestellt war. Meine Antwort im Kopf war: Weder noch. Doch ich hatte keinen Anhaltspunkt, warum ich meine Mutter nicht freiwillig nennen wollte. Ich wägte ab. Auf der einen Seite war der emotionale, unzuverlässige, unkontrollierte Vater, auf der anderen Seite die distanzierte Mutter, die egoistische Schwester, die Eltern meiner Mutter und eben mein allerliebster Opa. Ich wurde geduldet, knapp gehalten, durchgezogen und schlecht behandelt, denn eine Seite in mir verlangte nach Aufklärung, was denn der wirkliche Grund für diese Trennung war. Mit sechzehn löste mich die Mutter weiter von sich. So bot mir meine Mutter aus der Badewanne heraus ganz entspannt 100 DM im Monat an.
Ich nahm das als großzügig wahr, und merkte erst später, daß ich über den Tisch gezogen wurde. Sämtliche Schulbücher, Klamotten und am Ende auch den Joghurt musste ich von der Summe selbst bezahlen. Ich war im vollem Wachstum und kaufte Second Hand oder trug die ausgebeulte 501 von meinem holländischem Nachbarn. Das passte ihr allerdings nicht. Auf dem Weg zu diesem Rollschuh Musical in Bochum hielt sie auf der Strasse an, und ich musste von der alten Levis in ihre nach Parfum riechende Closed Jeans umsteigen, weil sie sich vor den Ärzten nicht schämen wollte, die die Tickets hinterher geworfen bekamen, so in den 80ern. Für mich war das körperliche Nötigung, für meine Mutter einfach Bockigkeit, weil ich nicht das liebe Mädchen sein wollte. Marken kaufen und kostenlos Werbung laufen für Esprit, Benetton oder Oilily, das war mir einfach zu teuer, und trotzdem bewunderte ich einmal ein Sweatshirt im Katalog, es folgte die Logik meiner Mutter: “Dann geh doch arbeiten!”. Meine spontane Verwirrung: Wieso soll ich jetzt arbeiten, nur um ein Ding im Katalog zu bewundern? Warum muss man alles besitzen, was man schön findet? Das ging eine ganze Weile so weiter, bis ich selbständig mit achtzehn in der elf/zwei das Gymnasium wechselte, weil die alle leider so spießig und auf Marken fixiert waren. Ich passte da einfach nicht rein. Mit meinen selbstgenähten und gebrauchten Klamotten kam ich in dem anderen Gymnasium besser klar, es waren ja noch zwei Jahre bis zum Abitur. Die Mutter fuhr mich einmal zur alten Schule, weil sie den Schulwechsel anscheinend vergessen hatte.
Mit zehn vom wilden Pferd gefallen
und mit ihr wieder aufgestanden.
Welver, 1983
geschätzt und zeitlos
In der Zeit nahm ich Kontakt mit meinem Vater auf, denn ich wollte mir nun endlich selbst ein Bild von dem „Arschloch“ machen. Ich wurde als verehrter Gast sorgsam, bestaunend und großzügig behandelt. Nach einer gewissen Zeit wurde diese Großzügigkeit jedoch an Bedingungen geknüpft. Bis dato hatte mein Vater keinen Unterhalt für mich und meine Schwester gezahlt. Er legte einen Offenbarungseid ab und besaß gleichzeitig mehrere Familienhäuser, die er wohl auf seine Geschwister übertrug. Irgendwie drehte er immer krumme Dinger… . Ich sollte für eine der Wohnungen Eigenbedarf anmelden, weil er den Mieter raus haben wollte, und daran war der alte VW Golf geknüpft, den ich ein Jahr fahren durfte. Mir war das Ganze nicht koscher, lügen wollte ich nicht. Meine Mutter nutze die Gelegenheit, sie bat mich, meinen Vater anzuzeigen und zu bezeugen, daß er mehr besäße, als er angab. Das hatte zur Folge, daß ich eine Strafanzeige wegen Falschaussage bekam und der Kontakt mit meinem Vater war für weitere sieben Jahre eingefroren. Nach dem Abitur arbeitete ich wieder bei einem Künstler in Portofino, flog mit Sack und Pack, gefühlt für immer 1995 nach New York. Dort hatte ich die beste Zeit überhaupt, kam total gut klar, alles war brilliant, doch ich musste zurück. Meine Mutter wechselte gefühlt zum 20. mal die Wohnung, das Haus und all meine zurückgelassenen Dinge sollten auf den Müll. Gut, mein Reisepass war abgelaufen, es gab eine Visumpflicht, so zog ich spontan nach Hamburg.
Zurück zum Geld, zum Streit und den mühevollen Weg, sich selbst und das Verhältnis der Eltern zu verstehen. Ich war Mitte Zwanzig, begann das Studium, zahlte weiterhin natürlich alles selbst, hörte vom Kindergeld, das dann doch mir zustand und erfuhr auch, dass ich eine ganze Weile nicht mehr krankenversichert war. Ich hätte es mir noch leichter machen können, wenn ich doch nur die Asta gebeten hätte, den Unterhalt meiner Mutter einzuklagen. Dann kam die Nachzahlung des Vaters. Der Notar überwies eine sehr hohe Summe auf mein Konto für mich und meine Schwester. Die Mutter wies an, ich sollte unterschreiben und im Anschluss alles auf ihr Konto umgehend überweisen. Wie dumm… sie bestand darauf, sie hätte es sich hart erkämpft und musste angeblich ihren Anwalt davon bezahlen. Wir Töchter, es gab noch eine Halbschwester von einem anderen Mann, sollten jeweils Geld angelegt bekommen. Ich schenkte ihr Vertrauen, obwohl ich ihre Rechnung sehr merkwürdig fand, denn irgendwie wollte ich die Hoffnung auf Familienzusammengehörigkeit noch nicht aufgeben. Daß ich wieder über den Tisch gezogen wurde und Jahrelang wie ein Pawlowscher Hund mit geringen und unregelmässigen Summen klein gehalten wurde, ahnte ich, doch wollte es nicht glauben. Ich fand es auch erstaunlich, daß trotz des mangelnden Interesses an meinem Leben, meiner Arbeit und an meiner Person ich auf diese Art im Spiel galten werde sollte.
1973
Meine Eltern wollten mich so gerne haben doch ließen sie mich nicht sein.
Das fiel mir beim Schälen von Kohlrabi ein
Was das macht – zeigt sich hier
Haben oder Sein – davon spricht Erich Fromm so schön
Es ist bereits entschieden – so soll es sein.
Das löste sich dann auf dramatische Art in meiner Küche auf. Ich war in Vorbereitung meines Diploms, das ich aufgrund des Geldes, was ich verdienen musste, aufschob. Ich war also fast fertig mit dem Studium, hatte noch die letzte Hürde zu meistern und war knapp bei Kasse. Ich fand, daß es nun Zeit war, mich auszuzahlen und bestand auf ein Treffen bei mir zu Hause. Ich hatte alles genau notiert, die abgesprochene, angelegte Summe und die monatlichen Gnadenbeträge ergaben eine Zahl auf dem Papier, die ich auch schon mit einem Bild erreichte. Es reichte aus, um meine Mutter zu demaskieren. Sie rastete vollkommen aus, fühlte sich persönlich angegriffen, fuhr alle Stacheln aus, beschimpfte mich auf unterirdische Art und gab alles, um mich in ihr böses Spiel zu verwickeln. „Wozu habe ich dreißig Jahre investiert… und was habe ich jetzt davon!!!??“
Es ging so aus, daß sie ihr Stück Sachertorte und die zweihundert Euro in ihrer Prada oder Fake-Prada Tasche wieder mitnahm und ich sie mit dem Satz, sie solle ihren Arsch aus meiner Wohnung bewegen und nie wieder auftauchen, harsch und bestimmt verabschiedete. Dann bekam ich erst zitternde Knie, als wäre das ein beinahe tödlicher Unfall gewesen, dem ich grade noch entkommen war. Ich hörte zwei Jahre nichts von ihr, bis sie sich mit mir zum Mittagessen traf, nachdem ich in einem Brief um eine normale Umgangsweise bat. Sie zahlte den Salat und eben nur den. Die Summe, die sie mir vor fünfzehn Jahren hätte geben können, schwebt heute noch wie das Damoklesschwert über ihr. Man könnte jetzt sagen, vergiss das Geld, sie ist schließlich deine Mutter, jedoch, und darum geht es mir, es ist die Verhaftung, die fehlgeschaltete Bindung ans Geld.
Nicht ich bin die Schuldige, die Geld von der Mutter verlangt, die sie bluten lässt, das Leben aus ihr aussaugt, noch muss ich ein schlechtes Gewissen haben, daß ich als Kind Bedürfnisse hatte, die nur marginal gestillt wurden. Vielmehr muß ich in der Lage sein, mich selbst zu sehen bei all dieser Manipulation und gesunden Abstand wahren zu dieser Art von Mensch. Rechtlich hätte ich weitaus mehr von meiner Mutter einklagen können, nur war die Frist dafür abgelaufen, und mit dreißig kann man sich auch mal vollkommen von der Mutter trennen. Da man sich jedoch leider nicht offiziell scheiden lassen kann, habe ich längst ein Testament geschrieben, was sicher stellt, daß meine Bilder, das ganze Werk Menschen gereicht wird, die meine Arbeit zu schätzen wissen. Natürlich finde ich es traurig, und ja, ich habe es oft versucht, der Mutter die Hand gereicht, doch sie kann mir nicht in die Augen schauen. Es ist vorbei und ich hege keinen Gräuel, vielleicht ist es eher der Respekt, daß ich einem Menschen aus dem Weg gehe, der soviel Angst hat, daß meine Gegenwart Mauern einstürzen lassen könnte. Was sich dahinter verbirgt, ist oft das kleine ungeliebte Kind, was man selbst sein musste, um es zu spiegeln. Nun ist mein Kind so groß wie ich und ich bin es selbst. Wenn ich einmal groß bin…. und nun lasst uns das Leben feiern, tiefer geht es wieder später.